zur Lage der Flüchtlinge in Syrien

Donnerstag, 13. September 2012

“Nach dem militärischen Fiasko der bewaffneten Rebellen in Damaskus und Aleppo verlagert sich die Konfrontation immer mehr in den sozialökonomischen Bereich. Ungeachtet der massiven Präsenz von Armee und Sicherheitskräften ist die Regierung kaum dazu in der Lage, alle Objekte der sozialen Infrastruktur im Lande vor den bewaffneten Rebellen zu schützen. Die Städte und Dörfer, in denen es zu Zusammenstößen kommt, werden zerstört, die Bewohner sind dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und ganze Familien suchen Hilfe bei Verwandten oder vom Staat.

Syrien hat durch die Flüchtlinge aus dem Irak, dem Libanon und Palästina große Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen, deswegen ist dieses Problem heute nicht das hauptsächliche. Folgendes berichtet der Gouverneur von Aleppo:

Marat Musin: Wo werden denn die Flüchtlinge aus den Stadtteilen, die von den Rebellenbanden besetzt werden, untergebracht? Wie werden sie mit Nahrungsmitteln versorgt?

Muhammed Wahid Akkad, Gouverneur von Aleppo: In Syrien besteht eine enorme gesellschaftliche Solidarität der Menschen untereinander. Die Flüchtlingszahlen sind nicht allzu hoch, weil die Menschen, die aus den Zonen mit Kampfhandlungen fliehen mussten, größtenteils bei ihren Verwandten anderswo unterkommen. Zum Beispiel habe ich einen Bruder, eine Schwester und den Mann meiner Cousine derzeit bei mir in meinem Haus untergebracht. Sie sind zu mir gekommen und leben jetzt mit in meinem Haus.

Außerdem gibt es gesellschaftliche Institutionen, die sich der Wohlfahrt verschrieben haben und materielle Hilfe leisten, die Menschen unterbringen. Wir hatten zum Beispiel Flüchtlinge aus dem Libanon aufgenommen, von denen rund 1,5 Millionen in Aleppo untergekommen waren. An Lebensmitteln haben wir genug und es reicht für alle, und tatsächlich ist es so, dass wir keine größeren Probleme durch die Flüchtlinge haben.

Ungeachtet aller Hilfsmaßnahmen lebt ein Teil der Flüchtlinge aus den Vororten von Aleppo, in denen gekämpft wird, unter freiem Himmel.

Marat Musin: Wo kommen Sie her und wie lange sind Sie bereits hier?

Flüchtling: Wir sind bereits seit 2 Wochen hier. Wir sind aus einem der Stadtviertel, in das die sogenannte Freie Syrische Armee eingezogen ist, sie haben uns aus den Häusern vertrieben und so sind wir hierher gekommen. Manche sind bereits seit drei Wochen hier, andere seit zwei Wochen. Die syrische Armee leistet uns hier Hilfe, zweimal am Tag bringt man uns Wasser, Nahrungsmittel und Konserven.

Marat Musin: Wann hoffen Sie nach Hause zurückkehren zu können?

Flüchtling: Wenn sich die Lage beruhigt, werden wir nach Hause zurückkehren.

Marat Musin: Sind Ihre Häuser in Mitleidenschaft gezogen worden? Wurden sie ausgeraubt? Wie verhalten sich die Banditen?

Flüchtling: Ja, einige der Häuser sind zerstört, das Hab und Gut dort wurde geraubt.

Der Großteil der Flüchtlinge, die nicht bei ihren Verwandten untergekommen sind, lebt allerdings unter besseren Bedingungen. Es sind eine ganze Reihe von Wohlfartsorganisationen in Syrien aktiv, die den vom Krieg betroffenen Menschen helfen.

Dschamil Hassan, Leiter des Flüchtlingszentrums Al-Ihsan in Aleppo: Unsere Organsiation “Al-Ihsan” wurde 2005 gegründet und ist seit dem ohne Unterbrechung tätig. Unsere Mission ist Hilfe für Obdachlose und Waisenkinder. Wir leisten auch verschiedenartige medizinische Hilfe, darunter auch chirurgische Eingriffe, betreuen Auszubildende in technischen Berufen. Jetzt haben wir 600 Familien zu betreuen und weitere 200, in denen es körperlich behinderte Menschen gibt; auch diese unterstützen wir.

Marat Musin: Welche Aufgaben hat Ihre Organisation in der derzeitigen Krise?

Dschamil Hassan: Seit einem Jahr und drei Monaten leisten wir der Bevölkerung aktive Hilfe. Zuerst haben wir 500 Tonnen Lebensmittel und materielle Hilfe für Bedürftige nach Homs geschickt. Die Hilfsgüter wurden vom syrischen Roten Halbmond überbracht. Danach haben wir für Idleb und die nördlichen Gebiete der Provinz Aleppo gesammelt. Wir wurden dabei vom syrischen Roten Halbmond unterstützt, dafür sind wir sehr dankbar.

Als die Krise auf Aleppo übergriff, begannen wir unsere Einsätze hier. Anfangs haben wir über verschiedene Moscheen Hilfsgüter verteilt, als sich die Krise jedoch verschärfte, bekamen wir eine Genehmigung vom Bildungsministerium und begannen damit, Schulen für Flüchtlingskinder zu eröffnen. Insgesamt haben wir 33 solcher Schulen eröffnet, in denen die Kinder zweimal am Tag zu essen bekommen. Im heiligen Monat Ramadan gab es bei uns von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang Essen für die Menschen. Es ist egal, woher ein Flüchtling kommt, bei uns kann jeder Essen und Hilfsgüter bekommen. Wir helfen allen Flüchtlingen.

Die Flüchtlingsunterkunft erinnert an ein Ferienlager, so viele Kinder verschiedener Altersstufen gibt es hier. Das Lager ist mit allem ausgestattet, damit die Menschen die schweren Zeiten überdauern können. Ein Freiwilliger der Hilfsorganisation Al-Ihsan berichtet:

Freiwilliger: Hier lagern wir die Nahrungsmittel, die für die Speisung unserer Flüchtlinge notwendig sind. Wir haben Reis und verschiedenes anderes Getreide. Es mangelt uns an nichts, wir haben Lebensmittel für eine Woche im Voraus.

In der Küche wird nicht nur für die hier untergekommenen Flüchtlinge gekocht, sondern auch für mehrere Tausend anderer Bedürftiger. Das Flüchtlingszentrum hat eigenes medizinisches Fachpersonal und ist mit Medikamenten ausgestattet.

Fausia Salama, Flüchtlingskomitee Aleppo: Wir versuchen, die Probleme zu lösen, mit denen die Wohlfahrtsorganisationen konfrontiert werden. Wir koordinieren ihre Arbeit, versorgen sie mit Medikamenten und mit Personal. Die Situation ist schwierig, wir hoffen aber, dass die Krise vorübergehen wird.

Der größte Teil der Flüchtlinge ist mit seiner zeitweiligen Unterkunft zufrieden. Aber wie überall gibt es auch hier eigene Probleme. Am besten haben es die Flüchtlinge aus den Gebieten mit Kampfhandlungen, deren Häuser heil geblieben sind; sie warten einfach nur darauf, dass ihre Stadtgebiete wieder sicher werden.

Marat Musin: Was hat Sie hierher geführt?

Latifah Katrandschi, Flüchtling: Es gab Probleme im Stadtteil Salahaddin. Bei den Kämpfen wurde ich verletzt, bevor ich hierher kam. Zur Situation hier im Flüchtlingszentrum – die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die Ordnung funktionieren gut, aber manche benehmen sich unangemessen, es gibt Probleme mit der Sauberkeit.

Leider gibt es auch solche Familien, deren Häuser zerstört sind und die nirgendwohin zurückkehren können. Für sie ist das Zentrum eine Herberge für längere Zeit geworden.

Mann: Ich bin aus dem Stadtteil Al-Sikari. Mein Haus dort wurde zerstört. Ich kam also hierher, die Lage hier ist aber nicht besonders. Ich kann nicht nach Hause zurückkehren. Hier gibt es aber zum Glück Nahrung und Wasser. Ich möchte Dr. Baschar al-Assad danken. Ich hoffe, dass wir alle wohlbehalten und gesund nach Hause zurückkehren können, und ich danke dem Präsidenten, dass er sich um unsere Probleme kümmert.

Zusammen mit den Flüchtlingen leben hier auch die, welche ständig von Al-Ihsan betreut werden. Zum Beispiel diese einsame ältere Frau.

Ältere Frau: Ich bin aus dem Stadtgebiet Tariq al-Bab. Ich hatte einen Sohn, er war körperbehindert, und er ist hier gestorben. Jetzt lebe ich allein, von meinen Verwandten bekomme ich keine Unterstützung. Ich habe weder Geld noch Kleidung, mir mangelt es eigentlich an allem.

Junge Frau: Ich bin aus dem Stadtteil Al-Sikari. Ich bin mit meiner Schwiegermutter hierher gekommen. Ich habe Brüder in Russland. Wenn sie mich sehen, sollen sie mich bitte anrufen und mir meine Sorgen nehmen. Vielen Dank, dass Sie sich uns widmen!

Auch wenn für die Unterbringung der Flüchtlinge gesorgt wird, bestehen große soziale und wirtschaftliche Risiken. Eine Reihe von Betrieben ist zerstört, es gibt Probleme mit der Logistik, denn viele Versorgungswege sind nach wie vor unicher.

Marat Musin: Herr Gouverneur, wie ernsthaft sind die Schäden, welche die Rebellen der Stadt zugefügt haben?

Muhammed Wahid Akkad: Von Zerstörungen sind insgesamt nicht mehr als zwei bis drei Prozent der Bausubstanz betroffen – das ist nicht das Problematische, das werden wir wieder aufbauen. Viel schlimmer ist die Zerstörung der Wirtschaft. Sie haben den Handelsbereich komplett zum Erliegen gebracht, ihn vollständig ausgeraubt. Die Rebellenbanden haben dort eine Menge an Fabriken zerstört: die Fabrik für Stoffe, die Olivenölproduktion, die Baumwollverarbeitung. Syrien war ja früher eines der größten Baumwoll-Exportländer der Welt. Das ist der größte Schaden.

Nach der vernichtenden Niederlage in den Gefechten gebrauchen die bewaffneten Rebellen heute die Taktik von Terroranschlägen gegen regierungstreue Bürger und gegen die Wirtschaft des Landes. Sie rechnen damit, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierungorganisationen zu erschüttern, den Unmut der Bevölkerung zu schüren, weil die Regierung nicht für deren Sicherheit und die Sicherheit der Wirtschaft des Landes sorgen kann. Davon, wie gut die Regierung diesen Herausforderungen begegnet, hängt der Ausgang des Kampfes um Syrien ab.”

Quelle: http://apxwn.blogspot.de/2012/09/anna-news-zur-fluchtlingssituation-in.html

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