Von der Wichtigkeit von außen nach innen schauen zu können

Gedanken und Vorschläge zur internationalen Arbeit der KI

Einleitung
Die Bedeutung der internationalen Arbeit für eine politische Organisation hängt von vielen Faktoren ab. In erster Linie ist ihr eigener Entwicklungsstatus ausschlaggebend. Der folgende Bericht ist als Anregung gedacht, der vom Zustand der Kommunistischen Initiative (KI) und der politischen Gesamtlage im Frühjahr 2010 ausgeht. Des Weiteren entsteht er vor den Erfahrungen, die ich einerseits in den vergangenen sechs Jahren in zahlreichen Veranstaltungen über Venezuela und das Baskenland vorwiegend in „linken Zusammenhängen“ auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland gesammelt habe. Andererseits habe ich aufgrund meiner beruflichen wie politischen Arbeit im Ausland erfahren, wie wichtig der Blick von außen auf das eigene Land und somit auf sich selbst ist. Letzteres ist eine sehr persönliche, also subjektive Erfahrung, die daher keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann.
Wenn ich im Folgenden von „der Linken“ spreche, dann beziehe ich mich allgemein auf jene Parteien, Organisationen, Personen und Strömungen, die sich links von der gleichnamigen Partei Die Linke verorten lassen. Letztere werde ich mit PDL kennzeichnen.

Zwei grundsätzliche Überlegungen über das Kommunistsein und die internationale Arbeit
Im Kontext der aktuellen Lage in Deutschland mag es pathetisch klingen, wenn ich den Kommunisten Eugen Leviné (1883-1919) zitiere. Kurz bevor ihn ein Richter zum Tode verurteilte, sagte das Mitglied der Münchner Räterepublik:
„Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub, dessen bin ich mir bewusst. Ich weiß nicht, ob Sie mir meinen Urlaubsschein noch verlängern werden, oder ob ich einrücken muss zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ich sehe auf jeden Fall Ihrem Spruch mit Gefasstheit und mit einer inneren Heiterkeit entgegen“.
Leviné sprach diesen Gedanken zu einer Zeit aus, als das Kommunistsein in diesem Land mit dem Tode bestraft wurde. Fakt ist, dass in den letzten Jahrzehnten die Herrschenden in der BRD – trotz KPD-Verbot, massivem Auf- und Ausbau aller repressiven staatlichen Strukturen, zunehmenden Faschisierungstendenzen sowie einzelner, massiver Repressionsmaßnahmen – auf diese extreme Form, der Unterdrückung verzichtet haben. Dadurch entstand in weiten Kreisen der Linken die falsche Sicherheit, zu schlimmeren als die hierzulande bekannten Methoden der Repression könnte es nicht kommen. Dieser Eindruck ist falsch und gefährlich. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Spanien, existieren sehr viel weiter reichende Maßnahmen der Unterdrückung, die Folter und Mord im Staatsauftrag einschließen. Folglich kann der aktuelle Zustand in Deutschland nicht als Gradmesser für aktuelle und zukünftige Bedrohungslagen dienen. Wir können die derzeitige Situation daher nicht einfach als gegeben hinnehmen, sondern müssen uns darauf einstellen, dass die Herrschenden die Repressionsschraube (bis zum offenen Terror) gegen demokratische, antiimperialistische, sozialistische und kommunistische Kräfte deutlich anziehen können. Als Legitimationsbasis dient ihnen der immer plumper werdende Antikommunismus und ihr so genannter „Krieg gegen Terror“. Dieses Szenario wird spätestens dann eintreten, wenn sich die KI als ernst zu nehmende Kraft jenseits des hiesigen Parteienspektrums etabliert hat. Andere Parteien und Organisationen, mit denen die KI international zusammenarbeiten kann, haben diese Erfahrungen bereits gemacht.

Goethe oder die Notwendigkeit von außen nach innen schauen zu können
Dem deutschen Dichter und Denker Johann Wolfgang von Goethe wird der Satz zugeschrieben:
„Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen“.
Goethes Erkenntnis bedingt, dass man sich zunächst mit seiner eigenen Sprache beschäftigt hat, bevor man sich dem Studium anderer Idiome widmet. Der Aufenthalt in einer anderen Sprachwelt hilft, die eigene besser zu verstehen. Jeder, der bewusst eine andere als seine Muttersprache gelernt hat, kann Goethes Gedankengang vielleicht nachvollziehen. Aber das Zitat dieses Denkers lässt sich auch auf andere Bereiche anwenden, wenn man das Wort „Sprachen“ als Variabel begreift, die auch für „Ideologien“, „Politiken“, „Strategien“, „Personen“, „Länder“ usw. stehen kann. Goethes Gedanken erscheinen mir in seiner tief gehenden Vielfältigkeit als eine notwendige, geistige Voraussetzung für die internationale Arbeit. Der Kontakt mit den „Fremden“ entwickelt sich zum notwendigen Stein, an dem sich das Schwert der eigenen Ideologie, Politik, Strategie oder Person schärft oder zerbricht. Das gilt auch für die KI.
Die KI hat in ihrem Gründungsaufruf drei Punkte genannt, auf deren Basis sie eine Kommunistische Partei in Deutschland schaffen will. Das ist, um im Bild des Goethe-Zitats zu bleiben, ihre „Sprache“, die sie von den einen unterscheidet und mit den anderen verbindet.[1] Technisch betrachtet, ist es einfach, die drei Punkte in eine andere Sprache zu übertragen, damit Gleichgesinnte darauf reagieren. Angesichts der vorherrschenden Beliebigkeit im „Polit-Betrieb“ mit der dazugehörenden Prinzipienlosigkeit (die sich nicht nur auf Deutschland beschränkt) bedeutet eine klare Positionierung den ersten Schritt in die richtige Richtung. Der zweite muss berücksichtigen, dass sich die Welt seit der Konterrevolution weiter gedreht hat. Heutzutage gibt es weltweit Kämpfe, deren Akteure mit der UdSSR oder der DDR und mit den Werten, für die sie stehen, nur sehr wenig oder gar nichts anfangen können. Dieser Umstand verlangt von der KI, auf der Basis der für sie wichtigen Grundsätze eine Position zu entwickeln, die sie zum einen von anderen linken Parteien (vor allem in Deutschland) abhebt und zum anderen in die Lage versetzt, Anknüpfungspunkte zu jenen Kämpfen zu finden, die ebenfalls den Imperialismus unserer Zeit bekämpfen, aber nicht unbedingt die historischen Bezüge der KI teilen.
Auf diesen Aspekt werde ich weiter unten noch detaillierter eingehen.
Um die Gedanken zum Goethe-Zitat abzuschließen, möchte ich daran erinnern, dass der Kontakt zum Ausland verlangt, dass man die Fähigkeit fortentwickelt, auf Genossen, die vergleichbare Kämpfe wie den unsrigen führen, menschlich wie politisch zugehen kann, ohne dabei die eigenen Positionen zu verwässern. Hinter dieser Feststellung verbirgt sich meine Erfahrung, dass in vielen Gesellschaften außerhalb Deutschlands trotz aller politischen und ideologischen Gemeinsamkeiten der menschliche Kontakt immer noch wichtiger ist als die (möglicherweise) vorhandene Struktur mit ihrer Hierarchie und dem dazugehörenden Protokoll.

Die spezielle Note der internationalen Arbeit der KI
Die KI arbeitet nicht im luftleeren Raum; ihr Handeln geschieht vor dem Hintergrund der bundesdeutschen Politik im allgemeinen und den Positionen der PDL, der DKP und anderer Organisationen im konkreten. Die KI unterscheidet sich m.E. durch zwei wesentliche Punkte von ihrer politischen Konkurrenz im linken Spektrum: erstens durch die entschiedene Rückbesinnung auf den Marxismus-Leninismus sowie auf die Rolle der DDR und der UdSSR; zweitens dadurch, dass sie außerhalb des aktuellen Parteiengefüges wächst.
Die Rückbesinnung auf den Marxismus-Leninismus, seine herausragenden Vertreter und die wichtigsten Gemeinwesen, die diese Ideen verkörpert und gelebt haben, unterscheidet die KI von anderen „linken“ Parteien, Organisationen und Strömungen, die sich der Wertediktatur der Konterrevolution weitestgehend unterworfen haben. Mit ihrer Positionierung im Sinne von „Klarheit vor Einheit“ zeigt die KI Flagge. Zu ihr kommen jene aus dem In- und Ausland, die diese Positionen teilen. Der Vorteil ist, dass über bestimmte Grundwerte nicht mehr diskutiert werden muss. Der Nachteil, wenn man es so nennen will, kann sein, dass man sich in der internationalen Arbeit auf „Seinesgleichen“ beschränkt und so – vielleicht ungewollt – andere Regionen und Verbündete ausschließt. Letzteres muss nicht sein, wenn man zum Beispiel Lenins Verständnis vom Selbstbestimmungsrecht der Völker auf die gegenwärtigen nationalen und sozialen Befreiungskämpfe inner- und außerhalb Europas überträgt.
Der zweite Vorteil im Werden der KI liegt darin, dass sie kein Teil des hiesigen Parteiengefüges ist, sondern jene Kräfte sammeln kann, die der politischen Konkurrenz entweder enttäuscht den Rücken zukehren oder sich von ihr gar nicht erst angezogen fühlen. Damit rückt die KI in die Position einer „Bewegung“, die sich außerhalb des politisch-institutionellen Apparats in Deutschland entwickelt. Mit den notwendigen Abstrichen, die die Bedingungen in der BRD im allgemeinen sowie die Politik, Ideologie und Organisation im besonderen berücksichtigen, entspricht sie von ihrer Entstehung her jenen Bewegungen und Parteien, die in den ALBA-Staaten Venezuela, Bolivien und Ecuador über Wahlen an die politische Macht kamen und damit das Ende des dortigen verrotteten bürgerlichen Parteiensystems einleiteten. Dieser Einschätzung widerspricht nicht, dass innerhalb der KI Lenins Parteitheorie als wissenschaftliche Einheit aller Elemente des Marxismus-Leninismus gelehrt und praktiziert wird. Das bedeutet, dass die derzeitige Verfasstheit der KI als „Bewegung“ ein aus der derzeitigen historischen Situation in der BRD geborene Notwendigkeit ist, um in einem längerfristigen Prozess eine einheitliche Kommunistische Partei aufzubauen. Denn ohne eine Kommunistische Partei als marxistische Avantgarde der Arbeiterklasse wird es keine wirkliche sozialistische Revolution in Deutschland geben können.
Mit ihrem ideologisch-historischen Bezug und ihrem Status als „Bewegung“ verfügt die KI über das Material und den Manövrierraum, um sich außenpolitisch auszurichten und sich somit innenpolitisch von den anderen Linken abzuheben. Dem KI-eigenen außenpolitischen Diskurs müssen entsprechende Taten folgen, an denen es der Konkurrenz meistens mangelt.

Eigene Klarheit
Die KI sollte auf der Basis ihres Selbstverständnisses eine außenpolitische Positionierung vornehmen. Am Ende dieses Prozesses wird ein Dokument stehen, das zum einen Ausländern verdeutlicht, wie sich die KI zu ihren Kämpfen positioniert. Zum anderen bedeutet die Arbeit an diesem Positionspapier für die Mitglieder der KI, sich über Punkte klar zu werden, die in Deutschland nicht so wichtig erscheinen, in anderen Ländern aber sehr wohl.
Dazu zählt der offensive Umgang mit den Tabu-Begriffen der deutschen Linken wie „Volk“, „Nation“, „Deutschland“, „Deutschsein“, „Nation mit Staat“, „Nation ohne Staat“, „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, „nationale Befreiung“, „soziale Befreiung“, „nationale Identität“, „internationale Solidarität“… Hier gilt es, Bürgerlichen und Neofaschisten die Deutungshoheit streitig zu machen und Linken ohne Horizont eine Orientierung zu bieten.

Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern
Wie schon angedeutet, sehe ich zwei „Zielgruppen“ der internationalen Arbeit der KI. Dazu gehören zum einen die „natürlichen“ Partner der KI, also jene Parteien und Organisationen, die ihre Grundpositionen aufgrund eines ähnlichen Selbstverständnisses teilen. Folglich liegt es auf der Hand, diese Kontakte zu pflegen und auszubauen.
Zum anderen gibt es jene Organisationen, deren Gemeinsamkeit zur KI nicht in erster Linie im gemeinsamen Bekenntnis liegt, sondern in der Zielsetzung des geführten Kampfes. Hier die entsprechenden Partner zu finden, hängt im Moment vor allem von den logistischen Möglichkeiten ab. Im jetzigen Entwicklungsstadium der KI ist es vielleicht angebracht, sich im „Alten Europa“ nach Alliierten umzuschauen. Das sollte aber trotz aller materiellen Zwänge mit strategischer Weitsicht geschehen.
Daher bietet sich als ein Arbeitsfeld – auch mit Blick auf Lateinamerika und unter Berücksichtigung der Internationalen Brigaden für unser Selbstverständnis – der spanische Staat an. Wer dort heutzutage nach verlässlichen „kommunistischen“ Partnern sucht, dürfte verzweifeln: Die KP Spaniens (PCE) geht gerade mit der Izquierda Unida (Vereinigten Linken) zugrunde. Ein Ende des Schreckens ist nicht in Sicht. In eigenen Regionen gibt es kommunistische Strukturen, die aber sehr personenbezogen arbeiten.
Die einzige politische Kraft, die trotz Verbot Massen von 40 000 bis 140 000 Menschen auf die Straßen bringt, ist die baskische Linke. Sie tritt für „Unabhängigkeit und Sozialismus“ ein. Das ist der gemeinsame Nenner der die facettenreiche Nationale Baskische Befreiungsbewegung (MNLV) zusammenhält. Die MNLV lebt davon, dass man keinem ihrer Mitglieder vorwerfen kann, es wolle dort als „Berufspolitiker“ Karriere machen. Das Gegenteil ist der Fall: Etwa 60% der Kader der verbotenen Linkspartei Batasuna (Einheit) sitzen im Knast. Die Jugendorganisation Segi ist verboten, aber trotzdem in der Lage, an einem Wochenende 5 000 Jugendliche für Demos zu mobilisieren. Hauptanliegen der MNLV ist es, normale demokratische Verhältnisse zu schaffen, die helfen, den spanisch-baskisch-französischen Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Im Baskenland kann man erleben, wie Solidarität nicht nur propagiert, sondern auch gelebt wird – tagtäglich. Hinzu kommen die Methoden der politischen Arbeit in der Quasi-Illegalität, aber auch praktische, sozialistische Politik im kapitalistischen System, dort, wo es der baskischen Linken noch möglich ist, sie zu realisieren.
Etwas mehr Vorarbeit bedarf es, neue Partner zu finden, die dieselben Gegner haben und ähnliche Kämpfe führen, aber auf einer anderen ideologischen Position stehen. Stichworte: politischer Islam, bolivarianische Revolution.

Differenzierung der KI
von den restlichen kommunistischen Organisationen
Zur Differenzierung der KI von anderen linken Organisationen trägt auf jeden Fall ihr Selbstverständnis mittels der vorhin skizzierten Positionierung bei. Als nächster Schritt könnte die KI mit konkreten Aktionen in Kooperation mit den ausländischen Partnern aktiv werden. Das bedingt aber, in der Lage zu sein, auch „fremde Sprachen“ zu kennen. Ergo benötigt die KI einen Pool von sprachgewandten Genossinnen und Genossen und solchen, die es noch werden wollen. Allein dieser Aspekt – „Da muss man die KI fragen, dort sprechen sie Spanisch, Englisch, Türkisch…“ – wird sie von anderen abheben.
Die Situation des Partners im jeweiligen Gastland wird die Ebene bestimmen, auf der man politisch und publizistisch arbeiten kann.

Die realistischen Schritte in die Zukunft
Die KI muss sich ein außenpolitisches, internationales/internationalistisches Grundsatzpapier erarbeiten, das auf ihren Grundpositionen basiert und die Kämpfe hier und andernorts berücksichtigt.
Die KI sollte eine Struktur aufbauen, die sich mit der internationalen Arbeit befasst. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört die Kontaktpflege mit den Partnern, das Bereitstellen von Informationen, falls eine Stellungsnahme zu außenpolitischen Ereignissen vonnöten ist und der Aufbau eines eigenen Übersetzerkorps.

Ingo Niebel, 19.2.2010

[1] http://www.antiimp.de/aufruf.html, gesehen 14.2.2010

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