Revolutionärer Emanzipationskampf der Werktätigen

Die Partei – Vortrupp und höchste Klassenorganisation der Arbeiterklasse

Von Otto Finger

»In den Thesen des Zentralkomitees der KPdSU „Zum 100. Geburtstag W. I. Lenins“ heißt es: „Der Leninschen Grundidee zufolge muss die Partei die Vorhut des Proletariats, seine organisierte Abteilung, die höchste Form der politischen Organisation sein. Sie ist berufen, die Selbstbestimmung der Arbeiterklasse zu fördern, die Erkenntnis und Erfüllung ihrer welthistorischen Mission. Lenin unterstrich, dass es ohne revolutionäre Theorie auch keine revolutionäre Bewegung geben kann, dass die Rolle eines Vorkämpfers nur eine Partei spielen kann, die mit der fortschrittlichen Theorie ausgerüstet ist … Die entscheidende Bedingung für die Kraft der Partei sahen Lenin und die Bolschewiki in der ehernen Geschlossenheit ihrer Reihen, in der Unzulässigkeit von Handlungen, die auf Untergrabung ihrer Einheit und Schwächung ihrer eisernen Disziplin gerichtet sind.“ [1/114]

Diese Grundidee Lenins von der Partei ist erstmalig in „Was tun?“zusammenhängend entwickelt. Die bislang behandelten Leitsätze zur ideologischen Führungstätigkeit werden bereits hier mit grundlegenden organisatorischen Maßregeln vereinigt. Sie fassen sich zur Lehre von der Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse und als Vorkämpferin aller progressiven gesellschaftlichen Kräfte zusammen.

Das Neue der Leninschen Parteitheorie ergibt sich aus den neuen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er das Marxsche Werk höherentwickelt: Es sind die Bedingungen des imperialistischen Verfallsstadiums des Kapitalismus, der proletarischen Revolution und des Aufbaus des Sozialismus. Die reichere historische Praxis erheischt die reichere Theorie. In diesem Falle die konkretere, in sich geschlossene Parteitheorie.

Die hervorragende Stellung der Parteitheorie innerhalb des weltanschaulichen Ganzen des Marxismus-Leninismus ergibt sich aus der folgenden Grundtatsache: Der Marxismus-Leninismus ist eine revolutionäre Lehre, die theoretische Begründung der sozialistischen Umwälzung eine ihrer wichtigsten Leistungen. Sofern diese Umwälzung aber nicht in einem spontanen Akt der Rebellion, sondern nur als Resultat des zielstrebigen, disziplinierten, von wissenschaftlicher Bewusstheit getragenen Handelns der Arbeiterklasse vollzogen werden kann, und diese revolutionäre Zielstrebigkeit und sozialistische Bewusstheit nicht spontan entsteht, sondern in die spontane Arbeiterbewegung hineingetragen werden muss, ist die organisierte, ideologisch erzieherische Führungstätigkeit der Partei der Arbeiterklasse eine unabdingbare Notwendigkeit.

Lenin konnte angesichts der Ökonomisten noch von einem Irrtum sprechen, wenn sie die falsche Vorstellung hatten, das politische Klassenbewusstsein der Arbeiter würde aus ihrem ökonomischen Kampf erwachsen. Im heutigen Opportunismus ist aus Irrtum Verrat geworden, ja, er hat die Notwendigkeit eines politischen Klassenbewusstseins aus seinen Konzepten ausgemerzt. Und nachdem zeitgenössischer Opportunismus alles tut, um selbst die Ausbildung solcher Haltungen zu behindern, die wir bei Lenin als „Keimformen“ der Bewusstheit markiert fanden, ist Lenins Forderung, das Klassenbewusstsein in die Arbeiterbewegung hineinzutragen, nur noch deutlicher geworden.

Von der gleichen brennenden Aktualität ist dasjenige, was Lenin über den Unterschied zwischen dem „Sekretär einer Trade Union“ und dem revolutionären, marxistischen Führer der Arbeiterbewegung entwickelt. Es sind Normen für das Auftreten und Handeln eines jeden Angerhörigen der revolutionären Partei der Arbeiterklasse im Kampf gegen die kapitalistische Ordnung: Der Sekretär einer Gewerkschaft hilft den Arbeitern, den ökonomischen Kampf zu führen, er entlarvt die Zustände im kapitalistischen Betrieb, kämpft gegen die Einschränkung des Streikrechts usf. Das Ideal eines [revolutionären] Sozialdemokraten, d. i. eines Funktionärs des politischen Kampfes ist dagegen der Volkstribun: Er versteht es, an allen Erscheinungen der Unterdrückung das „Gesamtbild der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen“. Er legt seine sozialistischen Überzeugungen vor aller Welt dar. Er legt vor aller Welt seine demokratischen Forderungen dar, „um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen.“ [2/115]

Lenin begründet hier und in allen partei- und revolutionstheoretischen Zusammenhängen, dass die Aufgaben der Partei gegenüber der proletarischen Klasse mit ihren Aufgaben als Vorkämpfer jeder fortschrittlichen Bewegung verbunden sind. Wir erinnern uns, dass dies eines der parteitheoretischen Prinzipien des „Manifestes der Kommunistischen Partei“ war. Lenin entwickelt es für die Bedingungen des Kampfes gegen den Zarismus generell, speziell aber für das imperialistische Verfallsdatum des Kapitalismus. Konsequenter Verfechter der Arbeiterinteressen sein heißt, sich an die Spitze jeder demokratischen Bewegung stellen:

Denn der ist kein Sozialdemokrat, der in der Praxis vergisst, dass die ,Kommunisten überall jede revolutionäre Bewegung unterstützen’ [Lenin zitiert hier aus dem „Kommunistischen Manifest“; O. F.], dass wir daher verpflichtet sind, vor dem ganzen Volke die allgemein demokratischen Aufgaben darzulegen und hervorzuheben, ohne auch nur einen Augenblick unsere sozialistischenÜberzeugungen zu verheimlichen. Der ist kein Sozialdemokrat, der in der Praxis seine Pflicht vergisst, bei der Aufrollung, Zuspitzung und Lösung jeder allgemein demokratischen Frage allen voranzugehen.“ [3/116]

Die allgemeinste philosophisch-theoretische Basis auch dieses Grundsatzes ist die materialistische Dialektik. Es ist der Standpunkt, dass alle Seiten der progressiven Bewegung in der Festlegung der revolutionären Strategie berücksichtigt werden müssen, dass zwischen allen Momenten des Prozesses Wechselbeziehungen bestehen und es darauf ankommt, auf diese Wechselbeziehungen im Interesse der revolutionären Ziele der Arbeiterklasse einzuwirken. Es ist eine Denkweise, die den Standpunkt der dialektischen Totalität der historischen Bewegung revolutionstheoretisch durchführt. Immer wieder spricht Lenin von der Notwendigkeit, alle Seiten des Kampfes zu erfassen. Aufgabe der Partei ist es, „diesen allseitigen Kampf in all seinen Erscheinungsformen zu leiten“. [4/117]

Dialektik schließt hier jegliches Sektierertum aus. Sektierertum aber wäre es, wenn die Partei der Arbeiterklasse deren revolutionäre Ziele dadurch gefährdete, dass sie es der Bourgeoisie überließe, die übrigen werktätigen Schichten in ihr Schlepptau zu nehmen und in den Kampf gegen die Arbeiterklasse zu treiben. Daher fordert Lenin:

Wir müssen die Aufgabe auf uns nehmen, einen solchen allseitigen politischen Kampf unter Leitung unserer Partei zu organisieren, damit alle oppositionellen Schichten diesen Kampf und diese Partei nach Maßgabe ihrer Kräfte unterstützen und es auch wirklich tun.“ [5/118]

Was hier Lenin für die Bedingungen des antizaristischen Kampfes formuliert, gilt voll und ganz auch für die Bedingungen des Kampfes gegen den Imperialismus heute. Die Grundzüge der speziell in der Kritik am Linksradikalismus zu Beginn der zwanziger Jahre entwickelten Lehre vom Verhältnis zwischen Führern, Partei, Klasse und Masse beginnt Lenin bereits in „Was Tun?“ auszuarbeiten. Schon im Kampf gegen den Rechtsopportunismus musste Lenin zu diesem für jede erfolgreiche revolutionäre Tätigkeit entscheidenden Verhältnis Stellung nehmen. Aus den „Praktikern der [revolutionären] Sozialdemokratie“, d. h. aus den in der praktischen politischen Arbeit Tätigen, sind nach Lenin „politische Führer“ herauszubilden, fähig, den Kampf in allen Erscheinungsformen und unter Einbeziehung aller oppositionellen Kräfte zu leiten. Im Mittelpunkt dieser Führungstätigkeit steht die politische Erziehung der Arbeiterklasse. Es ist die Klasse, „die vor allem und am meisten ein allseitiges und lebendiges politisches Wissen braucht; die am meisten fähig ist, dieses Wissen in aktiven Kampf einzubringen, auch wenn dieser keine ,greifbaren Resultate’ verheißt“. [6/119]

Lenin hebt dabei eine nicht unwesentliche Seite der Führungsrolle der Arbeiterklasse sowohl beim Sturz des Kapitalismus als auch beim Aufbau des Sozialismus heraus. Es ist eine moralisch-ideologische Eigenschaft, ihre Fähigkeit, über das unmittelbare Tagesinteresse hinaus für das große sozialistische und kommunistische Ziel zu kämpfen. Diese ihre Fähigkeit resultiert aus ihrer entscheidenden Besonderheit gegenüber allen übrigen Klassen und Schichten der kapitalistischen Gesellschaft: Vom Eigentum an den Produktionsmitteln ausgeschlossen, in der brutalsten Weise vom Kapital ausgebeutet und gleichwohl mit der Entwicklung der modernsten Produktivkräfte verbunden, verbindet sie nichts mehr mit der alten Ordnung, alles aber mit der kommunistischen Zukunft.

Eine erste zusammenfassende Charakteristik der Grundaufgaben der Partei neuen Typs, der revolutionären Kampfpartei der Arbeiter (Frauen und Männer; R. S.) unter den Bedingungen unseres Jahrhunderts gibt Lenin wie folgt:

Sie organisiert eine das ganze Volk ergreifende politische Agitation. Ihre politischen Enthüllungen haben den Charakter einer „Kriegserklärung“ an die reaktionäre Regierung, d. h. sie konzentriert die politische Agitation auf den Sturz der alten Staatsmaschinerie und die Machteroberung durch die Arbeiterklasse. [7/120]

Ihre politische Agitation hat nicht zuletzt die Aufgabe, die Kampffront r der reaktionären Kräfte zu zersetzen, dem Klassenfeind der ArbeiterInnen seine „zufälligen oder zeitweiligen Verbündeten abtrünnig zu machen“ [8/121].

Sie führt die politische Agitation und betreibt die Propaganda auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus und bekämpft schonungslos jede Abweichung vom Marxismus. [9/122]

Sie führt den „Ansturm gegen die Regierung im Namen des ganzen Volkes“ [10/123].

Sie erzieht das Proletariat zum revolutionären Handeln.

Sie wahrt seine politische Selbständigkeit.

Sie leitet den ökonomischen Kampf und sorgt dafür, dass Zusammenstöße des Proletariats mit seinen Ausbeutern „immer neue Schichten des Proletariats aufrütteln und für uns gewinnen“ [11/124].

Die letztgenannten Aufgaben – Führung des Volkskampfes, revolutionäre Erziehung des Proletariats, Wahrung seiner Selbständigkeit, Leitung des ökonomischen Kampfes – sind durch die Partei zu einem „untrennbaren Ganzen“ zu vereinigen. [12/125]

Obzwar in „Was tun?“ vorrangig die ideologischen Führungsaufgaben der Partei begründet werden, legt Lenin grundlegende Maßregeln für die Meisterung der Organisationsaufgaben der revolutionären Kampfpartei fest. Er tut dies in der Form einer Kritik an der „Handwerklerei“ der Ökonomisten, aber auch der Terroristen. –

Einseitige Orientierung auf den ökonomischen Kampf kann niemals jenen Organisationstyp hervorbringen, wie er für den politisch-revolutionären Kampf nötig ist. Die Partei, das ist nach Lenin eine „Organisation von Revolutionären“, fähig, „dem politischen Kampf Energie, Zähigkeit und Kontinuität zu verleihen“ [13/126].

Die Ökonomisten wie die Terroristen kapitulieren vor der spontanen Bewegung. Erstere halten eine revolutionäre Kampforganisation für überflüssig und unmöglich, solange die Arbeitermassen noch für ökonomische Forderungen kämpfen. Letztere, „denen jede ,Allmählichkeitstheorie’ fernlag, sagten: Es ist möglich und notwendig, eine ,politische Revolution zu vollbringen’, dazu aber ist es absolut nicht nötig, eine starke Organisation der Revolutionäre zu schaffen, die das Proletariat durch harten und zähen Kampf erzieht; dazu genügt es, dass wir alle den uns ,zugänglichen’ und schon bekannten Knüppel zur Hand nehmen … dass wir den ,schlappen’ Gang der Arbeiterbewegung mit Hilfe des ,exzitierenden Terrors’ anspornen.“ [14/127]

Für die Durchführung der Revolution ist eine Organisation der Revolutionäre notwendig, die nicht einfach eine unter anderen Organisationen der Arbeiter ist. Erstere ist eine Organisation von Berufsrevolutionären, Organisatoren des politischen Klassenkampfes. Sie ist die höchste Form der Klassenorganisation der Arbeiter. Demgegenüber sind die Gewerkschaften innerhalb des Emanzipationskampfes der Arbeiter Organisationen des ökonomischen Kampfes. –

Lenin begründet für die Bedingungen des revolutionären Emanzipationskampfes des Proletariats

dass ohne eine stabile und die Kontinuität wahrende Führungsorganisation keine revolutionäre Bewegung Bestand haben kann;

dass diese Organisation umso fester sein muss, je breiter die spontane Massenbewegung ist;

dass eine solche Organisation sich aus Menschen zusammensetzt, „die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen“ [15/128];

dass unter Bedingungen der Illegalität diese Organisation eng genug und fähig zum Kampf gegen die politische Polizei sein muss, um der Verfolgung durch das autokratische System zu entgehen;

dass gerade diese Merkmale der revolutionären Partei den Arbeitern und progressiven Kräften überhaupt die breitesten Möglichkeiten für die Beteiligung am Kampf geben.

Das für die Aktionsfähigkeit einer solchen Kampfpartei notwendige Prinzip der Zentralisation verbindet Lenin mit dem Prinzip des gründlichen Demokratismus:

Die Konzentrierung aller konspirativen Funktionen in den Händen einer nmöglichst geringen Zahl von Berufsrevolutionären bedeutet keineswegs, dass die Berufsrevolutionäre ,für alle denken werden’, dass die Menge keinen tätigen Anteil an der Bewegung nehmen wird.“ [16/129]

Obzwar unmittelbar für das Wirken der Partei unter Verhältnissen der Selbstherrschaft, der autokratischen Unterdrückung jeder fortschrittlichen Bewegung formuliert, birgt diese Leninsche These ein für alle Phasen des revolutionären Befreiungskampfes und für eine ganze Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus fundamentales in sich. Es ist das Prinzip des demokratischen Zentralismus

Anmerkungen

1/114 Zum 100. Geburtstag Lenins, Thesen des Zentralkomitees der KPdSU, Berlin 1970, S. 10.

2/115 W. I. Lenin, Was tun?, S. 437.

3/116 Ebenda, S. 440.

4/117 Ebenda, S. 442.

5/118 Ebenda.

6/119 Ebenda, S. 445.

7/120 Vgl. ebenda, S. 446.

8/121 Ebenda.

9/122 Vgl. ebenda, S. 447.

10/123 Ebenda.

11/124 Ebenda.

12/125 Vgl. ebenda.

13/126 Ebenda, S. 461.

14/127 Ebenda.

15/128 Ebenda, S. 481.

16/129 Ebenda, S. 482.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl. 7.12. Die Partei – Vortrupp und höchste Klassenorganisation der Arbeiterklasse, in 7. Kapitel: Zur Herausbildung der Leninschen Etappe der materialistisch-dialektischen Revolutionstheorie.

21.05.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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