Frank Flegel: Überblick über die Diskussion

Ich habe mir die Diskussionsbeiträge angesehen und sie in ihren Argumentationen geordnet. Mehrere Diskussionsstränge lassen sich unterscheiden. Es gibt:
1. den Vorwurf des Linksradikalismus,
2. die Bagatellisierung,
3. widersprüchliche Beiträge, die sich mit der Diskussionskultur befassen.
Zum Schluss dokumentieren wir den Diskussionsbeitrag von Wolfgang Herrmann, der im Vorspann für diesen gesamten Schwerpunkt schon im Zitat von Rolf Priemer genannt wurde.
Die Beiträge sind im folgenden auszugsweise wiedergegeben – geordnet nach den inhaltlichen Schwerpunkten.

Redaktion offen-siv, Frank Flegel, Hannover

1. Vorwurf des Linksradikalismus, des Putschismus, der Selbstüberschätzung und der Fraktionsbildung:
Heinz Stehr: „Zum Problem und zur Belastung der innerparteilichen Demokratie werden Meinungsunterschiede auch, wenn – wie jetzt wieder – Positionspapiere, versehen mit Unterschriften von Genossinnen und Genossen, veröffentlicht werden, die unseren programmatischen Aussagen widersprechen. Ein solches, sich wieder-holendes Vorgehen birgt die Gefahr der Fraktionierung der DKP“ (Heinz Stehr, Rede auf der 8. Tagung des PV der DKP)
Heinz Stehr: „Das Profil der DKP ist gefährdet durch sektiererische Verengung und dogmatische Positionen. Heute ist auf der Grundlage unseres Programms eine politische Alternative zu entwickeln, die mehrheitsfähig wird in der Bevölkerung. Ihr Hauptinhalt müssen die Forderung nach Frieden, sozialer Sicherheit, mehr Demokratie, Antifaschismus, Bildung, Kultur sein. Dazu darf man sich nicht durch Verengungen und Sektierertum von der Mehrheit der Menschen entfernen und isolieren.“ (Heinz Stehr, Rede auf der 8. Tagung des PV der DKP)
Rolf Priemer: „Den Diskussionsbeitrag von Wolfgang Herrmann, der inzwischen auf eigenen Wunsch aus dem Parteivorstand ausgeschieden ist, habe ich aufmerksam gelesen. Sein Anliegen läuft auf die Organisierung eines Putsches von Revisionisten und Sektierern zusammen mit Teilen der SDAJ gegen den Parteivorstand hinaus. Das muss verhindert werden durch die Delegierten des Parteitages. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner den Ansinnen von Wolfgang Herrmann folgen wollen.“ (Rolf Priemer, www.kommunisten.eu)
Frank Dähle: „Eine Betrachtung des – durch jahrzehntelange Sozialpartnerschaft und vielfältige Beeinflussung durch im Wesentlichen kapitalistische Medien geprägte – Massenbewusstsein könnte die AutorInnen ggf. zu der Erkenntnis führen, dass der Kampf um eine sozialistische Perspektive offensichtlich nur in Etappen erfolgen kann. Eine solche Erkenntnis passt aber nicht in das hier vertretene irreale Konzept einer `Offensivstrategie´. Hier wird es nicht reichen, der Arbeiterklasse zu sagen, dass sie ihre historische Mission zu erfüllen hat!“ (Frank Dähle, www.kommunisten.eu)
Willi Gerns: „Ein solches Herangehen widerspricht nicht nur unserem aktuellen Parteiprogramm, sondern der seit Konstituierung der DKP 1968 erarbeiteten strategischen Orientierung des Kampfes um antimonopolistische Übergänge, mit denen der Weg zum Sozialismus geöffnet werden soll.“ (Willi Gerns, www.kommunisten.eu)
Thomas M.: „Das Papier `Den Gegenangriff…´ ist so dürftig, dass es nicht als Grundlage einer Debatte geeignet ist, höchstens als Indikator für deren Notwendigkeit. Einerseits gibt’s viel Allgemeinplätzliches, einen Haufen allseits anerkannter Grundlagen kommunistischer Politik, teils auch von niemandem bestrittene richtige Orientierungen. Andererseits eine Fülle realitätsferner links-radikaler Phrasen. (…) Man erkennt in `Gegenangriff´, `ìn die Offensive übergehen´, `Eigentumsverhältnisse selbst angreifen´, `politischer Massenstreik´, `härtester Klassenkampf um die politische Macht´ sofort die nackte voluntaristische linksradikale Phrase.“ (Thomas M., www.kommunisten.eu)
Robert Steigerwald: „Da haben wir auf der einen Seite unsere Partei mit ihren ungefähr vier- bis fünftausend Mitgliedern, deren Durchschnittsalter eher bei den 60 als bei den 50 Jahren liegt, deren Mitglieder schon aus diesen Gründen nur noch wenig in Betrieb und Gewerkschaften aktiv sein können. Das wäre unser `Potential´ für den `Gegenangriff´. Und bei diesem Unternehmen würden wir in einer Bevölkerung wirken, die uns gerade – wie uns die jüngsten Wahlen zeigten – selbst bei aktivstem und einfallsreichstem Wahlkampf gerade so 0,1 Prozent ihrer Stimme gegeben hat. Und der Gegner ist keineswegs waidwund! Hervorragende Bedingungen für einen `Gegenangriff´! Ist dies das richtige, wissenschaftliche, marxistische Herangehen an die Erarbeitung eines `Krisenaktionsprogrammes´ zur Vorbereitung des Parteitages?“ (Robert Steigerwald, www.kommunisten.eu)
Mirko Knoche: „`Wir müssen französisch lernen´. `Wir brauchen den Generalstreik´. Mit Verlaub, Genossen – das kennt man zur Genüge aus dem Mund von SAV und Linksruck.“ (Mirko Knoche, www.kommunisten.eu)
Rolf Priemer: „Da muss man den Text lesen. Im Kern läuft er darauf hinaus, dass das Parteiprogramm, über dessen Erarbeitung unter vielen Mühen 16 Jahre gestritten und über das schließlich 2006 mit großer Mehrheit der Parteitagsdelegierten entschieden wurde, revidiert werden soll. Die Begründungen dafür erscheinen mir äußerst dünn, rechthaberisch, allein seligmachend für und bestätigend der eigenen Position.“ (Rolf Priemer, www.kommunisten.eu)
Klaus Mausner: „Aus diesem Positionspapier spricht viel revolutionäre Ungeduld! So sehr man diese auch emotional verstehen kann, so wenig hilft das wirklich. Nach einer alten Erkenntnis wächst das Gras nicht schneller, wenn man an den Halmen zieht. (…) Ich kann den im Positionspapier sich immer wieder durchziehenden linksradikal-sektiererischen Touch nicht billigen. Wenn er sich in unserer Partei durchsetzen würde, wäre es nach meiner Überzeugung von erheblichem Schaden. (…) Ich fordere dementsprechend die Verfasser auf, ihre Positionen selbstkritisch zu überdenken und das Papier zurückzuziehen! Damit wäre auch eindeutig die Gefahr einer Fraktionierung unserer Partei beseitigt,…“ (Klaus Mausner, www.kommu nisten.eu)
Jane Zahn: „Statt verbalradikaler Attacken brauchen wir den Mut, sich in der Öffentlichkeit und in Bündnissen mit unseren Positionen zu stellen. Und zwar mit unserem Parteiprogramm. Und nicht mit Selbstüberschätzung.“ (Jane Zahn, www.kommunisten.eu)
Dieter Keller: „Geradezu selbstherrlich halte ich die Feststellung: `Das erfordert von den Kommunistinnen und Kommunisten, Illusionen in den Kapitalismus nicht zuzulassen.´ Da liegen nun Anspruch und Wirklichkeit gleich millionenfach auseinander. Da sollen 5.000 Kommunistinnen und Kommunisten mit ihren be-grenzten Möglichkeiten, die darüber hinaus kaum noch in Betrieben organisiert sind, keine Illusionen zulassen bei 42 Millionen Beschäftigten. Das soll mir mal eine/einer sagen, wie das möglich ist.“ (Dieter Keller, www.kommunisten.eu)
Walter Listl: „Die schematische Vorstellung, die Vergesellschaftung des Banken-sektors und der Produktion oder Demokratie in der Wirtschaft erforderten zunächst die Macht im Staat, d.h. den Sozialismus, wie im Papier behauptet, negiert die Erkenntnis, dass gerade der Kampf um diese Veränderungen Teil eines gesell-schaftlichen Transformationsprozesses sein muss, wenn daraus eine anti-kapitalistische und sozialistische Gesellschaft entstehen soll. Die Eigentums- und Wirtschaftsdemokratiefrage auszuklammern, solange Kapitalismus herrscht, heißt, darauf zu verzichten, das Profitprinzip anzugreifen. (…) Geradezu schädlich ist wird das Gegenangriffpapier, wenn es um die Einschätzung der Arbeiterklasse und der Rolle der Gewerkschaften geht. Die Arbeiterklasse, heißt es da, dürfe sich `nicht mehr von den Gewerkschaftsführungen am Nasenring herumziehen lassen´. Dieses Bild ist nicht nur dumm, weil es die Schwäche der Arbeiterbewegung auf den angeblichen oder tatsächlichen Verrat sozialdemokratischer Gewerkschaftsführer reduziert, sondern auch mit Grundpositionen unserer Partei nicht vereinbar. (…)
Wenn man natürlich die Existenz transnationaler Konzerne bestreitet, in der heutigen kapitalistischen Globalisierung nichts qualitativ Neues entdeckt und ignoriert, wie sich dadurch die Kräfteverhältnisse zuungunsten der Arbeiterbewegung verschoben haben, dann bleibt ja als Erklärung fast nur noch der Verrat. Diese Gründe zu analysieren ist natürlich umständlicher, als das Bild einer Zuchtbullenauktion zu bemühen. Aber auch hier lohnt sich der Blick in das Parteiprogramm der DKP. (Walter Listl, www.kommunisten.eu)

2. Bagatellisierung
Leander Sukow: „Das Positionspapier `Den Gegenangriff organisieren…´ kann jeder Kommunist getrost unterschreiben. Es tut gar nicht weh. Allerdings hilft es auch nicht weiter. Denn das Papier ist deshalb jederzeit unterschreibbar, weil es sich auf eine eigentümliche Art im Nichts bewegt. Es ist eine Aneinanderreihung von Maximal- und Minimalforderungen im gegenwärtigen Gesellschaftszustand.
All das, was dort steht, ist Allgemeingut; jedenfalls weitgehend. Man mag sich über die Frage der Transnationalität streiten. Man kann es aber auch lassen. (…) Mir liegt das wesentlichste Loriot-Zitat auf der Zunge, wenn es um dieses Papier geht: `Ach´.“ (Leander Sukow, www.kommunisten.eu)

3. Zur Diskussionskultur
Gerd-Rolf Rosenberger: „Es ist gut, dass das Positionspapier veröffentlicht und zur Diskussion gestellt wird. Und vielleicht auch eine breite Debatte in den Kreisen und Gruppen geführt wird, aber bitte nicht so, dass Genossinnen und Genossen, weil sie das Papier unterschrieben haben, diszipliniert werden. (…) Es ist sehr schade, dass das Positionspapier nicht in der UZ veröffentlicht wird. Da gehört es genauso rein, wie zu überlegen ist, in absehbarer Zukunft eine ganze Zeitungsseite in der UZ für solche Diskussionen und Leserbriefe zu öffnen.“ (Gerd-Rolf Rosenberger, www.kommunisten.eu)
Herbert Münchow: „Sicherlich ist an dem Papier einiges zu diskutieren – m.E. auch zu ändern bzw. richtiger darzustellen – aber es mit dem Bannstrahl des Linksradikalismus zu belegen, ist unerhört. Weitaus problematischer waren da die Äußerungen des Parteivorsitzenden zur Linkspartei während des Wahlkampfes – Linksradikalismus war das nicht, aber bereits eine Art Selbstaufgabe. Warum kann dieser Text nicht in die UZ? Beherrscht der PV diese Debatte nicht? Wenn man sich auf das Parteiprogramm beruft, was richtig und notwendig ist, dann aber nicht nach dem Auswahlprinzip `Wie es Euch gefällt´. (Herbert Münchow, www.kommu nisten.eu)
Leander Sukow: „Kritisiert wird dabei, dass die Diskussion in einzelnen Landes-verbänden, Kreisen und Gruppen nicht in dem Maße in die Diskussion der Gesamtpartei einfließen können, welches nach Meinung der Kritiker notwendig wäre, um zu einem offenen Diskussionsprozess und damit zu einer neuen Einheit zu kommen. Dieser Vorwurf erscheint mir richtig zu sein. Es ist versäumt worden, Plattformen – z.B. im Internet – zu schaffen, die eine umfangreiche Vordiskussion ermöglichen und der Berichterstattung aus den Gliederungen gedient hätten. Der Parteivorstand hat es nicht nur versäumt, die Diskussion zu ermöglichen, er hat sie sogar – z.B. in der Yahoo-Mailingliste `dkp-im-netzt´ verhindert.“ (Leander Sukow, www.kommunisten.eu)
Klaus Köhler/Walter Herbster: „Aktive und bekannte GenossInnen haben sich Gedanken zur aktuellen politischen Lage und zur Zukunft der DKP gemacht. Das ist gut so. Dass dies durch unterschriebene Positionspapiere neben den DKP-Strukturen geschieht, um sich Mehrheiten zu verschaffen, ist zu kritisieren. Jedoch: Die Diskussion wird derzeit in den Strukturen der DKP geführt, und die Partei wird dies – so hoffen wir – aushalten und positiv zur Klärung und Weiterentwicklung nutzen. Wir erwarten diese Diskussion innerhalb der DKP, bei Respektierung des Rechts, immer und jederzeit die Meinung äußern zu können.“ Klaus Köhler/Walter Herbster, www.kommunisten.eu)
Volker Metzroth: „Es ist kein Ausdruck von kommunistischer Diskussionskultur, aber vielleicht ein gezieltes Manöver, wenn zu jedem möglichen Anlass der Partei Diskussionen über Papiere aufgenötigt werden, die unserer Programmatik widersprechen. (…) Während der jüngsten Bezirksvorstandssitzung diskutierten vier Parteigenerationen über die Situation der Partei. Die Einschätzung war einstimmig: das 84er-Papier hilft uns nicht weiter, es nötigt uns Diskussionen auf, die uns nicht voran bringen, es birgt die Gefahr einer Fraktionierung der Partei in sich. (Volker Metzroth, www.kommunisten.eu)

Wolfgang Herrmann: Grundsätzliches Umdenken über den Kurs der Partei erforderlich
„Da haben wir den Salat.
Ihr habt es alle gelesen, das Referat des Vorsitzenden der DKP, Genossen Heinz Stehr, auf der 8. Tagung des Parteivorstandes.
Das Krisenpapier der 84 wurde versenkt. Auf die Internetseite der Eurokommunisten `kommunisten.eu´, auf die Werbeseite des Parteivorstandes „DKP und die EL“. Dort nun soll der Aufruf zum Umsteuern diskutiert werden. Heinz Stehr meint im Referat, dass `wir nach 1990 eine DKP wollten, zu der auch notwendiger Meinungspluralismus, Diskussion, Streit und das Prinzip der Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit gehören.´ Wenn aber ein auf Meinungspluralismus basierender Streit beginnt, dann ist das nach Heinz Stehr eine Belastung der innerparteilichen Demokratie. `Zum Problem und zur Belastung der innerparteilichen Demokratie werden Meinungsunterschiede auch, wenn – wie jetzt wieder – Positionspapiere, versehen mit Unterschriften von Genossinnen und Genossen, veröffentlicht werden, die unseren programmatischen Aussagen widersprechen. Ein solches, sich wiederholendes Vorgehen birgt die Gefahr der Fraktionierung der DKP.´(…)
Es ist leider harte Realität, dass der mit der Programmannahme gesteuerte Kurs des Parteivorstandes die DKP in eine Krise geführt hat. Um aus ihr heraus zu kommen, muss umgesteuert werden. Ansonsten brauchen wir den 19. Parteitag nicht mehr!
Ich hatte dem Krisenpapier zugestimmt. Ich hatte aber auch gemeint, dass es nicht mehr ausreicht. Wenn wir das Ruder in der DKP herumreißen wollen, dann müssen wir es dem Steuermann aus der Hand nehmen.
Unsere Gruppe hat sich bereits mit dem Zustand der DKP beschäftigt und ihre Meinung in „`Umdenken´ und `Umsteuern´ zum Ausdruck gebracht. Wir rufen auf!“ (Wolfgang Herrmann, www.kommunisten.eu)

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