So werden Gewinne privatisiert und Risiken vergesellschaftet:

Niedriglohn, Werkverträge, Scheinselbständigkeit und prekäre Beschäftigung sind in Deutschland auf dem Vormarsch.

Neben dem Missbrauch der Leiharbeit suchen sich die Arbeitgeber [Unternehmer] das nächste gesetzliche Schlupfloch – und das sind die Werkverträge und Scheinselbständigkeit“, sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer.

Der DGB-Vorsitzende bescheinigt vielen Unternehmen „eine erstaunliche Kreativität, wenn es darum geht, neue Billiglohnmodelle zu erfinden.“ Werkverträge und Scheinselbständigkeit würden genutzt, um die Löhne zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.

Der Missbrauch geht auch zu Lasten der Stammbeschäftigten. Sie werden immens unter Druck gesetzt, ebenfalls zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten oder mehr zu leisten, damit ihre Arbeitsplätze nicht an Werkvertragsnehmer vergeben werden. Wir wissen aus vielen Berichten unserer Kolleginnen und Kollegen, dass der Missbrauch von Werkverträgen in den Betrieben zunimmt. Auf dem Bau, in Schlachthöfen oder im Einzelhandel ist dies schon seit längerem ein Problem, aber inzwischen sind auch Industriebetriebe, zum Beispiel in der Stahlindustrie und Automobilindustrie, betroffen.

Durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Neufassung der Handwerksordnung hat die Zahl der EinzelunternehmerInnen stark zugenommen. “Wir sollten nicht vergessen: Soloselbständige besitzen keinerlei Schutz. Sie müssen alles aus der eigenen Tasche zahlen“, sagte Michael Sommer. Es sei kein Wunder, dass in solchen Fällen kein Geld für die Altersvorsorge bleibe. [1]

Was sind Werkverträge?

Bei einem Werkvertrag vergibt ein Auftraggeber an Fremdfirmen fest definierte Gewerke. Das Merkmal des Werkvertrag ist es, dass der Auftragnehmer dieses Werk (Produkt) mit eigenen Arbeitskräften erstellt, für dieses Werk haftet und selbst bestimmt, wie es erstellt wird. Das heißt, er ist zuständig für den Einsatz von Beschäftigten und ist diesen auch weisungsberechtigt. Dies wird in der deutschen Wirtschaft ständig praktiziert und ist weitgehend unstrittig, soweit der Werkvertrag zu einer sinnvollen Arbeitsteilung führt [?]. Wann ein Werkvertrag vorliegt, ist in allgemeiner Form im “Bürgerlichen Gesetzbuch“ geregelt, die Abgrenzung zu anderer Art von Tätigkeit ist aber nicht gesetzlich geregelt, sondern geht zurück auf die Rechtssprechung und auf Dienstanweisungen der Bundesagentur für Arbeit. (Vgl.)

Missbrauch wird in Deutschland leicht gemacht

Das Problem ist komplex und es geht um verschiedene Sachverhalte, für die jeweils eigene Lösungswege gefunden werden müssen – unter den realen gesellschaftspolitischen und spätkapitalistischen Bedingungen in Deutschland.

1. Werkaufträge von Unternehmen an andere Unternehmen.

2. Werkverträge mit einem ausländischen Werkvertragnehmer.

3.Vergabe von Aufträgen an Soloselbstständige und präzisere Abgrenzung von Soloselbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung.

Das Ziel des DGB ist es nicht, Werkverträge generell zu unterbinden. Unterbunden werden müssen sie aber, wenn es ausschließlich darum geht, Löhne zu drücken und Risiken abzuwälzen. In diesem Fall ist das Werkvertragsunternehmen häufig weitgehend in den Produktionsablauf des Unternehmens eingebunden, ein eigenständiges Werk wird dann oft nur „zum Schein“ konstruiert. Diese Fälle nehmen in Deutschland zu.

Starke Zunahme der Soloselbstständigkeit

Auch die Beschäftigung von Soloselbstständigen stellt eine Form des Werkvertrages dar. Ausgelöst durch die Hartz-Reformen (Ich-AG) und die Novellierung der Handwerksordnung hat die Soloselbstständigkeit stark zugenommen. Weitere Erkenntnisse liefert eine Studie des IAW im Auftrag der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Daten des Mikrozensus zufolge hat sich die Zahl der Selbstständigen in Gesamtdeutschland von 3,6 Millionen im Jahr 1998 auf 4,1 Millionen im Jahr 2008 erhöht. Dieser langfristige Anstieg ist vor allem auf eine höhere Anzahl von Soloselbstständigen zurückzuführen. Deren Bestand erhöhte sich zwischen den Mikrozensusbefragungen von 1998 und 2009 um gut 500.000, was einem Anstieg von 35 Prozent entspricht, und betrug 2009 2,35 Millionen (2008: 2,3 Millionen). {…} Auffällig ist dabei ein überproportional starker Anstieg der Quote der Soloselbstständigen zwischen 2003 und 2005, was insbesondere eine Folge der [rechts-sozialdemokratischen] Reformen auf dem Arbeitsmarkt sowie der Novelle der Handwerksordnung ist.“

Auslagerungen in Form von Werkverträgen und freien Mitarbeitern

Nach einer aktuellen Auswertung des IAB-Betriebspanel, wurden zum Beispiel zwischen dem 01.07.2009 und dem 20.06.2010, also innerhalb eines Jahres, in zwei Prozent aller Betriebe Ausgliederungen vorgenommen. Arbeitsabläufe wurden ausgelagert und großteils durch Werkvertragsunternehmen erledigt. Ein zweites Phänomen besteht darin, dass freie Mitarbeiter auf Basis individueller Werkverträge eingesetzt werden. Der Anteil der freien Mitarbeiter an der Gesamtbeschäftigung hat sich zwischen 2002 und 2010 nahezu verdoppelt. Wurden 2002 noch 346.000 freie Mitarbeiter gezählt, stieg ihre Zahl 2006 kontinuierlich an, sackte dann leicht ab und stieg bis 2010 bereits auf 640.000 bzw. mehr als vier Fünftel gegenüber 2002.

Bei diesen Werten handelt es sich um Stichtagsdaten, die im Laufe eines Jahres deutlich überschritten werden dürfte.

Überproportional viele freie Mitarbeiter werden in den Bereichen Information und Kommunikation, wirtschaftliche, wissenschaftliche und frei berufliche Dienstleistungen, Erziehung und Unterricht, Organisation ohne Erwerbscharakter und sonstige Dienstleistungen eingesetzt. Am stärksten verbreitet sind freie Mitarbeiter im Erziehungs- und Bildungsbereich; ihr Anteil an den Gesamtbeschäftigten der Branche liegt hier bereits bei knapp 11 Prozent, es folgt der Informations- und Kommunikationssektor, wo die Freien gut 8 Prozent der Belegschaft stellen.

Die Zahl der freien Mitarbeiter allein ist zwischenzeitlich schon fast auf das Niveau der Leiharbeit angestiegen; allerdings werden beide Beschäftigungsformen in den einzelnen Branchen (noch) sehr unterschiedlich eingesetzt. So konzentriert sich Leiharbeit eher auf größere Betriebe und stärker auf Routinetätigkeiten, während freie Mitarbeiter eher in Kleinbetrieben und für Tätigkeiten eingesetzt werden, die meist mit höherer Qualifikation einhergehen. Doch gemeinsam ist diesen Beschäftigungsformen, dass diese Arbeitsverhältnisse weit weniger stabil sind und im Schnitt auch deutlich schlechter entlohnt werden als vergleichbare Arbeitskräfte.

Obwohl längst nicht alle Betriebe einer Branche auf diese meist prekären Beschäftigungsverhältnisse zurückgreifen, entfällt auch bei Produktionsgütern, bzw. Investitions- und Gebrauchsgütern auf sie ein Beschäftigungsanteil von etwa 5 Prozent. Je nach Tätigkeitsfeld werden deutlich höhere Anteile erreicht.

Eine Untersuchung des IAW Tübingen im Auftrag der sozialdemokratischen Otto-Brenner-Stiftung hat die Zunahme von Outsourcing anhand von Indikatoren gemessen. „In der Automobilindustrie wird beispielsweise von einem Anstieg des Wertschöpfungsanteils externer Zulieferer und Dienstleister von 62 Prozent in 2002 auf 77 Prozent im Jahr 2015 ausgegangen.“ Das heißt konkret, dass nur noch 23% des Wertes eines PKW von den Beschäftigten des Herstellers erzeugt werden, die anderen 77% von anderen Unternehmen.

Nach einer Umfrage der IG Metall, an der sich in 2011 4.938 Betriebsratsvorsitzende beteiligt haben, haben 40 Prozent der befragten Unternehmen Werk- und Dienstverträge als Flexibilisierungsinstrument eingesetzt. Die IG Metall hat darauf hingewiesen, dass mit den Werkverträgen Unternehmen den Kündigungsschutz, die “betriebliche Mitbestimmung“ und die tarifliche Bezahlung unterlaufen.

Auch die Gewerkschaft Nahrung-, Genuss-, Gaststätten (NGG), hat in einer Befragung von 371 Betriebsräten, den Umfang von Leiharbeit und Werkverträgen in ihrem Zuständigkeitsbereich ermittelt. Demnach sind gut 13 Prozent der Beschäftigten in der Ernährungsindustrie entweder als Leiharbeiter oder Werkvertragsbeschäftigter tätig und damit nicht mehr Beschäftigte des Stammunternehmens. Dabei betrug der Anteil der Werkvertragsbeschäftigten 7,8 % und der Anteil der Leiharbeiter 5,3 %. Die NGG weist darauf hin, dass auf einigen Schlachthöfen inzwischen 90 Prozent der Beschäftigten werkvertragsbeschäftigt sind und nur noch 10 Prozent Stammbeschäftigte. Dabei kommen die Werkvertragsbeschäftigten meist aus osteuropäischen Ländern und arbeiten unter hohen betrieblichen Druck zu niedrigen Löhnen, weit unter dem Tarifniveau.

Bei der Befragung der NGG wurde zudem festgestellt, dass die Lohndifferenz zu den Stammbeschäftigten bis zu 10 Euro/Std. betragen kann. Die durchschnittliche Lohndifferenz der Werkvertragsbeschäftigten, deren Löhne ermittelt werden konnten, lag bei 5,84Euro/Std. nDamit liegt das Lohnniveau noch niedriger als bei den Beschäftigten in der Leiharbeit, wo auch bereits eine hohe Lohndifferenz zu den Stammbeschäftigten besteht.

Weit verbreitet sind Werkverträge aber auch in der Bauindustrie. –

In der Bauindustrie werden in der Regel Aufträge an weitere Subunternehmen weitervergeben, wobei in Einzelfällen bis zu sieben weitere Subunternehmen tätig werden. Obwohl Generalunternehmerhaftung besteht, führen diese Konstruktionen dazu, dass die Verantwortung für das eingesetzte Personal im Einzelnen nicht mehr zugeordnet werden kann, vor allem dann, wenn ausländische Werknehmer beteiligt sind. In diesen Fällen kommt es häufig zu Lohndumping und Missachtung von Schutzbestimmungen. Ob in den Heimatländern tatsächlich die gesetzlichen Vorschriften beachtet werden und die Beiträge zur Sozialversicherung, sowie Steuern korrekt nach den dortigen gesetzlichen Bestimmungen abgeführt werden, kann in der Regel nicht nachgeprüft und überwacht werden. Dies führt zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen – nicht nur in der (A)’Sozialen Marktwirtschaft’ der bundesdeutschen Bourgeoisie und Aktionäre.

Eine Studie der Universität Amsterdam hat gezeigt, dass etwa eine Million Lohnarbeiterinnen und Arbeiter in der europäischen Union als entsandte (berufs-differenzierte) Lohnabhängige im Ausland beschäftigt werden. Die europäische Kommission hat insbesondere die Staaten Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande als diejenigen Staaten identifiziert, die einen besonders hohen Anteil von entsandten Lohnabhängigen bzw. Werktätigen [‘Arbeitnehmer’= dieser Begriff dient auch zur ideologischen Verschleierung und Umkehrung der Realität] auf ihrem staatlichen Hoheitsgebiet beschäftigen.

Problematisch ist die Beteiligung ausländischer Werkvertragsunternehmen insbesondere deswegen, weil nur wenige Zielbranchen betroffen sind. Rund 46 Prozent der Bescheinigungen werden für industrielle Tätigkeiten ausgestellt, von denen über die Hälfte auf das Baugewerbe entfallen. Mit Hilfe dieser Bescheinigungen erklärt der Entsendestaat, dass die Beschäftigten korrekt versichert sind und Steuern abführen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „die Konzentration entsandter Arbeitnehmer in den unteren Stufen unserer Arbeitsmärkte [‘unsere’ = gemeint sind die Arbeits- und Menschenverwertungsmärkte der Bourgeoisie und Adminisration] und in spezifischen Regionen, Segmenten und Sektoren erhebliche Risiken bergen kann (Wettbewerbsverzerrung [unter den kapitalistischen Bedingungen der Produktion und Wertschöpfung etc. ], Untergrabung von Arbeitsrechten der werktätigen Frauen und Männer [= ’Arbeitnerhmerrechten’] und verbindlichen Vorschriften). Die Beschäftigungsbedingungen, insbesondere die Löhne, die entsandten Werktätigen [= ‘Arbeitnehmern’] angeboten werden, können – insofern sie keiner ordnungsgemäßen Kontrolle und Durchführung unterliegen – ggf. die gesetzlich festgelegten oder im Rahmen allgemein gültiger Tarifverträge ausgehandelter Mindestbedingungen untergraben.“ (Vgl. DGB-Quelle; hier ohne Korrektur.)

Arbeitskräfte-Verleiher weiten ihr Geschäft auf Werkverträge aus

Verstärkt wird die Problematik dadurch, dass die großen Verleihunternehmen inzwischen neben der klassischen “Arbeitnehmerüberlassung“ auch “Modelle von Werkvertragsarbeit“ den “Kunden alternativ anbieten“. Wie dies abläuft zeigt ein Beispiel aus dem ver.di Bereich.

Das Unternehmen you@work, das auf “Arbeitnehmerüberlassung“ im Handel spezialisiert ist, hat auf seiner Internetseite dafür geworben: „Wir erfüllen Ihren Bedarf ganz nach Ihren Wünschen, ob im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung oder in Form eines Werkvertrages“.

Aktuell ist dieser Hinweis auf der Internetseite gelöscht worden, doch das Angebot besteht weiter. Das Unternehmen wirbt mit folgendem Angebot: „Outsourcing – Sie benötigen langfristig mehr Personal? Sie denken darüber nach, einen Bereich aus Ihrem Unternehmen an uns zu übergeben? Auch hier reagieren wir schnell und flexibel. Unser Mutterunternehmen TEAMWORK – Die BÜTTGEN GmbH stellt Ihnen im Rahmen eines Werkvertrages Teams im geführten Prozess, für folgende Bereiche zur Verfügung:

Instore Logistik

Kassenservice

Neueinrichtung und Umbauten

Flexible Einsätze“

Ein weiterer Fall ging durch die Presse, weil die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in den Zentrallagern der Kauflandgruppe Nachforschungen angestellt hat. Die dort beschäftigten Staplerfahrer erhielten ihre Anweisungen durch das hauseigene Computersystem zentral, wie auch die Stammbeschäftigten von Kaufland. Alles spricht dafür, dass hier nicht von einem eigenen Werk gesprochen werden kann. Das Werkvertragsunternehmen erstellt kein eigenes Werk, sondern stellt nur die Arbeitskräfte zur Verfügung. Faktisch handelt es sich also um Leiharbeit und nicht um einen Werkvertrag. Die Entlohnung war allerdings deutlich niedriger als bei der Stammbelegschaft. Der Fall der Lohnunterschlagung im ‘legalisierten’ Menschenhandel ist derzeit noch nicht abgeschlossen. (Vgl.)

Auch die Firma Rossmann arbeitet in großem Stil mit Werkverträgen. Das Handelsblatt berichtet am 14.5.2012 „In einigen Märkten arbeitet nur noch der Filialleiter direkt für Rossmann“. Die übrigen Mitarbeiter arbeiten zum Beispiel bei der Firma ISS (Instore Solution Services GmbH), an der Rossmann zu 49 % beteiligt ist. Während den regulär Beschäftigte zum Beispiel für das Einräumen der Regale 9,86 Euro/Std. nach dem ver.di Tarif (Niedersachsen) zusteht, werden die ISS Beschäftigten nach einem Tarifvertrag mit dem DHV bezahlt. Der DHV ist Mitglied im Christlichen Gewerkschaftsbund und für Dumpingtarifverträge bekannt. Nach diesem Tarifvertrag erhalten die Beschäftigten 6,63 Euro und in Ostdeutschland sogar nur 6,12 Euro. Gegenüber dem ver.di Vertrag ist dies 33% weniger. Rossmann profitiert doppelt, zum einen hat ISS 1,27 Mio Gewinn erzielt, zum anderen ist das Personal nicht bei Rossmann direkt beschäftigt. Wenn die Verträge gekündigt werden, trägt Rossmann keine weitere Verantwortung für die Beschäftigten [Staat, Recht und Justiz – der Bourgeoisie]. Wenn ISS keinen neune Auftraggeber findet, werden die Menschen arbeitslos und beziehen Arbeitslosengeld. So werden Gewinne privatisiert und Risiken vergesellschaftet. (Vgl.) [2]

[Ein modifizierter Auszug. Siehe DGB-Text: *]

Quelle: [1] DGB – Bundesvorstand, 20. Juni 2012, Michael Sommer:

„Missbrauch von nWerkverträgen als Billiglohnmodell stoppen“

http://www.dgb.de/themen/++co++93df8474-bab9-11e1-7bae-00188b4dc422 *

[2] * Zum Thema: »Werkverträge – Missbrauch stoppen«

»arbeitsmarktaktuell: Werkverträge – Missbrauch stoppen« (PDF) *

20.06.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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